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Das ist kolonial.
Westfalens (un)sichtbares Erbe
14.06.2024 - 26.10.2025
Nicht nur Hamburg oder Berlin, auch Westfalen hat viele Berührungspunkte mit dem Kolonialismus: Menschen aus der Region zogen als Missionare, Farmer oder Soldaten in die Kolonien. Unternehmer und Industrielle trieben die deutsche Kolonialpolitik voran, Kaufleute handelten mit Kaffee und Tee. Bürgerinnen und Bürger engagierten sich in Kolonial- und Missionsvereinen, gingen zu Völkerschauen, spendeten für Denkmäler oder benannten Straßen nach kolonialen Akteuren. Auch Menschen aus „Übersee“ lebten hier. Die Folgen des Kolonialismus wirken bis heute nach und prägen unsere Gesellschaft. Die Ausstellung „Das ist kolonial.“ baut auf Kooperationen und Ergebnissen einer partizipativen Werkstatt aus dem Jahr 2023 auf. Daraus entstandene Interviews, künstlerischen Arbeiten und Filme eröffnen neue Perspektiven und machen deutlich, wie Geschichte und Gegenwart miteinander verknüpft sind.
Das ist kolonial
Westfalens (un)sichtbares Erbe
Die Ausstellung im historischen Werkstattgebäude der ehemaligen Zeche beschäftigt sich mit Aspekten aus vier Themenbereichen: wirtschaftliche Verflechtungen, Menschen aus Westfalen, die in den Kolonien agierten, Kolonialismus im Alltag sowie Widerstand, Kolonialkriege und Erinnerungskultur. Ein Dreiklang aus historischen Bezügen, künstlerischen Interventionen und Interviews eröffnet unterschiedliche Perspektiven.
Handel, Wirtschaft und Industrie
Handel, Wirtschaft und Industrie profitierten bereits vor der Kolonialzeit vom weltweiten Warenaustausch. Produkte aus fernen Ländern wurden als „Kolonialwaren“ verkauft, importierte Rohstoffe hierzulande weiterverarbeitet. Verpackungen und zeitgenössische Werbung für Tabak, Kaffee und Kakao zeigen in der Ausstellung beispielhaft, wie die Produkte beworben wurden.
Mit der kolonialen Eroberung der Welt eröffneten sich auch neue Absatzmärkte für die westfälische Industrie. Die hiesige Eisen- und Stahlindustrie erhielt Aufträge für koloniale Großprojekte wie den Bau von Eisenbahnen und Hafenanlagen. Die in den Zechen des Ruhrgebiets geförderte Kohle befeuerte koloniale Unternehmungen.
Auch personell gab es Verflechtungen. So war Emil Kirdorf, Generaldirektor der Zeche Zollern, ein überzeugter Verfechter kolonialer Ideen. Und Adolf von Hansemann vom Vorstand der Zechengesellschaft GBAG engagierte sich als Gründer und Teilhaber von Plantagengesellschaften in der Südsee.
Foto: Kolonien waren für die Industrie ein wichtiger Rohstofflieferant und lukrativer Absatzmarkt. Diese Propagandamarke von 1925 verdeutlicht die wirtschaftlichen Motive des Kolonialismus und fordert die Rückgabe der Kolonien nach deren „Verlust“ nach dem Ersten Weltkrieg.
Forschung, Mission, Auswanderung
Die Erkundung und wissenschaftliche „Erforschung“ der Welt, aber auch die Missionierung schafften die Voraussetzung für die koloniale Expansion. Objekte wie Karten, Spendendosen, gesammelte Naturmaterialien und „Souvenirs“ aus den Kolonien werden kritisch beleuchtet und in den Kontext der Ausstellung gesetzt. Missionsgesellschaften wie die Bethel-Mission aus dem heutigen Bielefeld und die Rheinische Mission aus Barmen wirkten nicht nur in den Kolonien, sondern auch nach Westfalen hinein. Nach Inbesitznahme bewarb das Deutsche Reich die Kolonien als Siedlungsraum für Auswanderungswillige. Berichte, Bilder und das Gedankengut, das Deutsche aus den Kolonien zurück nach Hause trugen, bestimmen bis heute unsere Vorstellungen von Menschen im Globalen Süden.
Bild: Maske aus Burkina Faso (2. Hälfte des 20. Jahrhunderts) aus dem Nachlass des römisch-katholischen Missionsordens der Weißen Väter, der seit 1868 in der Afrikamission aktiv war.
Alltag, Propaganda, Kontinuitäten
Der Kolonialismus war auch für die Menschen in Westfalen Teil ihres Alltags. Nicht nur beim Einkauf und Konsum von Kolonialwaren kamen sie in den Genuss seiner Vorteile, auch in der Schule und bei der Freizeitgestaltung war der „koloniale Gedanke“ stets gegenwärtig.
Menschen in Westfalen engagierten sich in Kolonialvereinen, besuchten Vorträge und lasen Zeitungsberichte. Völkerkundliche Sammlungen und Völkerschauen vermittelten ein stereotypes Welt- und Menschenbild - zu sehen in der Ausstellung zum Beispiel auf historischen Postkarten. Gesellschaftsspiele, Kinderbücher, Sammelbilder und ein „Kolonial-Kochbuch“ aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg zeigen, wie verbreitet der Kolonialismus auch in den heimischen vier Wänden war. Auch wenn die Kolonialzeit heute kritisch hinterfragt wird, bilden die damals entstandenen Stereotype ein Fundament für Diskriminierung und Rassismus.
Bild: Wandbilder wie dieses wurden an vielen deutschen Schulen als Lehrmittel eingesetzt. Sie propagierten die angebliche zivilisatorische Überlegenheit weißer Europäer und vermittelten stereotype Bilder aus den Kolonien. Die Blütezeit dieser Wandbilder reichte vom letzten Drittel des 19. bis Mitte des 20. Jahrhunderts. Die Ausstellung zeigt Reproduktionen in Originalgröße.
Widerstand, Gedenken, Postkolonialismus
Der Widerstand indigener Bevölkerungen gegen die Fremdherrschaft der Kolonisatoren mündete in gewaltsame Auseinandersetzungen und Kriege – bis hin zum Völkermord. Anfang des 20. Jahrhunderts führte das Deutsche Reich zwei große Kolonialkriege: gegen die Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika (1904–1908), dem heutigen Namibia, und den Maji-Maji-Krieg in Deutsch-Ostafrika (1905–1907), heute Tansania. Am Völkermord an den Herero und Nama, der erst seit wenigen Jahren als solcher von Deutschland anerkannt wird, beteiligten sich auch Soldaten aus Westfalen.
Nicht alle Deutschen waren Befürworter der Kolonialpolitik. In der Weimarer Republik entstanden erste Vereinigungen der afrikanischen Diaspora wie der Afrikanische Hilfsverein. In Dortmund und Umgebung führten Arbeitervereine anti-koloniale Veranstaltungen und Solidaritätsbekundungen durch.
Ausstellungswerkstatt 2023
Im vergangenen Jahr lud die Ausstellungswerkstatt „Das ist kolonial.“ Besucher:innen zur partizipativen Auseinandersetzung mit Westfalens Kolonialgeschichte ein. Angefangen bei der morgendlichen Tasse Kaffee über Straßennamen bis hin zu bestimmten Vorurteilen erkundeten sie in rund sieben Monaten Laufzeit die Spuren und Folgen des Kolonialismus im Alltag. Dabei wurden neue Methoden der Museumsarbeit erprobt. So konnten Gäste ihre Gedanken an vielen Stellen schriftlich hinterlassen oder im Aufnahmestudio vertonen. Auf diese Weise entstanden themenbezogene Dialoge, die eine ergebnisoffene Art des Umgangs mit (post)kolonialen Fragestellungen möglich machten. Zusätzlich eröffneten verschiedene Formate an der Schnittstelle zwischen musealer Führung, Workshop und Theater neue Perspektiven. Auch aktuelle Debatten wie die Problematik des Sammelns und Ausstellens von Objekten aus kolonialen Kontexten wurden aufgegriffen.
Was hat Kolonialismus mit mir zu tun?
Diese Frage stellen sich Emmanuel Edoror und Gifty Wiafe in dem Video aus dem Eingangsbereich der Ausstellungswerkstatt und kommen schnell zu einem Ergebnis: koloniale Spuren sind auch heute noch an vielen Stellen in unserem Alltag präsent.